Von verpassten Chancen und dem richtigen Timing in der Räumungsvollstreckung

„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Das ist wohl das bekannteste Clausewitz-Zitat, zu dem kluge Köpfen viel und vermutlich alles gesagt haben. Nur fiel mir das Zitat bei der Vorbereitung dieses Beitrags ein, als ich einen im letzten Jahr abgeschlossenen Rechtsstreit Revue passieren ließ, auf den das Zitat in abgewandelter Form passt: „Die Erhebung einer Klage ist eine bloße Fortsetzung der Verhandlung mit anderen Mitteln.“ Das gilt jedenfalls dann, wenn man als Anwalt mit dem Harvard-Konzept vertraut ist. Das ist ein Konzept, um sachgerechte Ergebnisse zu erzielen. Dabei geht es vor allen Dingen darum, die sachlichen Interessen der beteiligten Personen in den Vordergrund zu schieben und diese von der Beziehungsebene zu trennen. Nach diesem Konzept würde man eine Klage als BATNA bezeichnen, nämlich: „Best alternative to a negotiated agreement“ Die Klage wird also erst erhoben, wenn es in den Verhandlungen nicht mehr weiterzugehen scheint. Das bedeutet nun aber nicht, dass mit Einreichung der Klage die Verhandlungen endgültig gescheitert sind, obwohl manche – selbst Anwälte - das so zu verstehen scheinen. Die Verhandlungen werden jetzt nur mit anderen Regeln geführt. Der Richter rutscht in die Rolle eines „Schlichters“ (Güteverhandlung, § 278 ZPO) und hat auch in allen Phasen des Verfahrens auf eine Einigung hinzuwirken. Nur wenn die Beteiligten sich nicht zu einer Einigung durchringen können, dann gibt es ein (rechtskräftiges) Urteil, und damit sind dann die Verhandlungen wirklich beendet. Ein Beispiel, wie man Verhandlungschancen durch schlechtes Timing vergibt: Die Mandantin hatte ein Bürogebäude erworben, um dieses abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen (Projektentwicklung). Im Hause gab es noch einen Mieter mit einem langfristigen Mietvertrag für ein Küchenstudio, der nicht ausziehen wollte. Zunächst verhandelten die Mandantin und der Mieter über den vorzeitigen Auszug gegen Zahlung einer Abfindung. Da jedoch die finanziellen Vorstellungen des Mieters unrealistisch hoch waren, verlor die Mandantin die Geduld und ließ den Mietvertrag von mir rechtlich prüfen. Dabei stellte sich heraus, dass der Mietvertrag wegen eines Schriftformmangels vorzeitig kündbar war. Das Mietverhältnis mit dem Mieter wurde gekündigt, dieser zog aber nicht aus und hielt unbeirrt an der hohen Abfindungsforderung fest. Darauf erhob ich Klage vor dem Landgericht Düsseldorf (BATNA …). Das Landgericht verurteilte den Mieter zur Räumung, gleichwohl hielt dieser an der viel zu hohen Abfindungsforderung fest. Er wollte die Angelegenheit auf der Zeitschiene durch die zu erwartende Dauer bis zur Entscheidung über die Berufung „aussitzen“, um den Druck auf die Mandantin durch Verzögerung der Herausgabe hoch zu halten. Das ist bei einem gewerblichen Mietverhältnis eine nicht seltene Fehlvorstellung auf Mieterseite, wenn es um die Räumung geht. Auch hier hatte der Mieter nicht erwartet, dass ich schon aus dem erstinstanzlichen Urteil des Landgerichts die Räumung betreiben würde. In seiner Verzweiflung hoffte der Mieter nun, das Oberlandesgericht würde auf seinen Antrag die vorläufige Einstellung der Räumungsvollstreckung bis zur Entscheidung über die von ihm eingelegte Berufung anordnen. Geradezu lehrbuchartig entschied das OLG Düsseldorf (siehe Bild) über seinen Antrag: „Wird gegen ein vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil (Hinweis: das Urteil des Landgerichts) Berufung eingelegt, so kann die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der zu treffenden Entscheidung hat das Berufungsgericht stets die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits umfassend abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 S. 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei summarischer Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochten Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht.“ Beides war nicht der Fall, insbesondere war kein besonderer Schaden für den Mieter ersichtlich. Zu erwartende finanzielle Einbußen, die Notwendigkeit eines Umzuges und andere Nachteile zählen dazu nämlich nicht. Außerdem war der Mieter durch die von der Mandantin gestellte Sicherheitsleistung geschützt. Die Räumungsvollstreckung ging danach glatt durch. Und zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung, die dann einige Monate später stattfand, war das Haus längst abgerissen und nicht mehr für den Wiedereinzug des Mieters geeignet. Darauf kam es dann aber nicht mehr an, weil die Mandantin auch in der Berufung gewann und eine vom Mieter dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof wegen erkennbarer Aussichtslosigkeit vom eingeschalteten BGH-Anwalt nicht weiterverfolgt wurde. Der Mieter anwaltlich vertretene Mieter hat hier viele Fehler gemacht, nicht so sehr rechtliche, als vielmehr verhandlungstaktische. Zum einen hat er eine sehr hohe Abfindung gefordert, ohne zuvor die Angreifbarkeit seines Mietvertrages gründlich geprüft zu haben. Wer viel Geld verlangt, sollte in sicheren Schuhen stehen. Zum anderen hat er wohl gedacht, er könne die Mandantin jedenfalls durch den langen Verfahrensablauf über mehrere Instanzen unter Druck setzen, denn eine Projektentwicklung ist meist zeitkritisch. Hätte der Mieter seine verwundbare Position und die Möglichkeit einer frühzeitigen Räumungsvollstreckung realistisch eingeschätzt, so hätte er bei geschickter Verhandlung selbst noch während der I. Instanz eine ordentliche Abfindung erhalten. Danach war es zu spät. Wenn man „All In“ geht, dann besser nicht mit einem billigen Pärchen auf der Hand, würde man wohl beim Pokern sagen.

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